An einem sommerwarmen Mittag auf dem Zürcher Münsterhof sitzt ein junger Mann mit hochgekrempelten Hemdsärmeln vor einem Instrument, das aussieht, als sei ein Ufo gelandet. Sobald seine Fingerspitzen die schimmernde Stahlkuppel berühren, entspinnt sich ein Klangband, das zwischen Glockenspiel, Harfe und ferner Tempelmusik schwebt. Passanten, die eben noch ihre Telefone checkten, verharren. Einige schliessen die Augen. Andere wiegen unbewusst den Kopf, als zöge eine unsichtbare Schnur beide Hemisphären ihres Gehirns auf dieselbe Umlaufbahn.
Die Idee der „gekreuzten Drähte“ – und warum Rhythmus mitzieht
Neuropsychologen sprechen von Hemisphären-Synchronisation, wenn elektrische Signale in linker und rechter Hirnhälfte nicht nur ähnlich aussehen, sondern fast im Gleichschritt oszillieren. Solche Gleichläufe tauchen in Flow-Zuständen auf – beim Klettern, beim Meditieren oder beim Musizieren. Ein neuraler Hochgeschwindigkeits-Tunnel verbindet die beiden Seiten: das Corpus callosum. Bereits Mitte der Neunziger fand ein Team um den Neurologen Gottfried Schlaug, dass dieses Faserbündel bei Berufsmusikern – vor allem jenen, die vor dem siebten Lebensjahr begannen – deutlich breiter ist als bei Nichtmusizierenden: mehr Spuren, weniger Stau.
Ein Vierteljahrhundert später untersuchte eine Arbeitsgruppe der Ruhr-Universität Bochum speziell Schlagzeuger. Zwanzig Profis, durchschnittlich siebzehn Jahre Stock-Erfahrung, wurden per MRT vermessen. Ergebnis: Im vorderen Teil des Corpus callosum fanden sich zwar weniger, dafür dickere Nervenfasern – als hätte die Natur einige Nebenstränge abgebaut, um die Haupttrasse zu verstärken. Die dickeren Kabel korrelierten direkt mit der Präzision im Drum-Test. Die Hypothese dahinter passt zum gelebten Gefühl vieler Musikerinnen und Musiker: Wer wiederkehrend komplexe, bimanuale Muster übt, trainiert nicht nur Finger und Unterarme, sondern die Bandbreite zwischen den Hirnarealen.
Genau hier greift ein zweites Konzept, das die aktuelle Neurowissenschaft immer präziser fasst: Entrainment. Gemeint ist die Tendenz biologischer Systeme, sich an externe Rhythmen anzupassen – von Gehirnwellen über Herzfrequenz bis zur Atmung. Nicht nur mechanische Systeme wie Huygens’ Pendeluhren synchronisieren sich; auch neuronale Schaltkreise spiegeln äussere Impulse. Der Knotenpunkt beider Ideen – Hemisphären-Synchronisation und Entrainment – liegt in der Musik.
Per Anhalter durch das Corpus callosum
Das magische Timing, das Drummern nachgesagt wird, entsteht durch Bewegungen, die fortwährend die Körpermittellinie kreuzen: rechte Hand links, linke Hand rechts – mal synchron, mal versetzt. Diese „Midline-Crossings“ gelten als Gymnastik für den Faserteppich zwischen den Hemisphären. In einer Fallstudie konnte ein zwölfjähriger Junge mit angeborenem Corpus-callosum-Defekt nach einem Jahr therapeutischer Drumsessions Balance, Koordination und sogar sein Sozialverhalten verbessern.
Das Handpan zwingt zu einer verwandten, sanfteren Choreografie. Wo ein Schlagzeuger Sticks über Tom-Toms wirft, wandert die Handpanspielerin in Spiralen um die Mittelnote, oft diagonal, mit Zeige-, Ring- und Mittelfingern. Auch hier arbeiten die Hände asynchron – ein Pattern tippt Triolen, das andere stampft Duolen –, doch der Klang bleibt milder, fast inhalierbar. Wer zuhört, spürt Rhythmus und Harmonie im selben Atemzug; wer spielt, koppelt beide Hände an ein gemeinsames, aber versetztes Raster. Der Effekt: Das Gehirn muss zwei abweichende, dennoch gekuppelte Taktmuster integrieren – eine Art bergige Tandemfahrt.
Was Klang im Körper ordnet
EEG-Studien zeigen, dass langsame, regelmässige Impulse besonders im Delta- und Theta-Bereich Entrainment auslösen – Wellen, die entspannte, schlafnahe Zustände markieren. Musik kann diese Rhythmen verstärken und physiologische Prozesse verschieben: Entspannung vertiefen, Schmerzempfinden reduzieren, Konzentration fördern. Parallel lassen sich Veränderungen jenseits des Gehirns messen. So steigt unter rhythmischem Biofeedback oft die Herzfrequenzvariabilität – ein Marker parasympathischer Aktivierung, also des „Ruhen-und-Verdauen“-Zweigs unseres Nervensystems.
Gerade die Handpan, die perkussiven Puls mit schwebendem Nachklang kombiniert, scheint hier einen Sweet Spot zu treffen: Der Anschlag strukturiert die Zeit, der Nachhall weitet sie. Für das Gehirn ist das kein Widerspruch, sondern eine Einladung, interne Oszillationen an äussere Muster zu koppeln – präfrontal (Aufmerksamkeit, Selbstregulation), limbisch (Emotion), motorisch (Timing).
Zwischen Evidenz und Euphorie
Natürlich ist das Handpan kein Wunderstahl. Dass Trommeln Blutdruck senken oder Anxiolyse begünstigen kann, ist ordentlich belegt, aber saubere EEG-Protokolle speziell zum Handpan sind noch rar. Die Bochumer Drummer-Studie umfasste zwanzig Probanden; Schlaugs Corpus-callosum-Arbeit zeigt Korrelationen, keine Kausalität. Und selbst wenn Konnektivität steigt – bleibt sie nach sechs Wochen Workshop oder braucht es Jahre? Dazu kommt: Entrainment ist kein Schablonen-Werkzeug. Subjektiver Musikgeschmack, frühkindliche Prägungen, kulturelle Kontexte modulieren den Effekt. Was der eine als beruhigend erlebt, lässt die andere kalt.
Trotzdem lohnt der nüchterne Pragmatismus: Wenn Klang als Taktgeber wirkt, lässt er sich gezielt einsetzen – in Schmerzbehandlung, Traumatherapie oder Palliativmedizin. Erste Ansätze deuten darauf hin, dass rhythmisch strukturierte Musik Schmerz reduzieren kann, nicht nur durch Ablenkung, sondern durch eine Art neuronale Neuordnung. Das Handpan bringt dafür gute Voraussetzungen mit: leichte Spielbarkeit, reiches Obertonspektrum, natürliche Einladung zu bimanualen Mustern.
Zwei Räume, ein Prinzip
Zurück auf dem Münsterhof endet das Set mit einem sanften Palmenschlag, das Metall atmet aus. Münzen klirren, jemand sagt Danke. Die Zuhörenden strecken sich, als hätten sie aus einem gemeinsamen Traum erwacht. Vielleicht ist das die unscheinbarste Form von Hemisphären-Synchronisation: Fremde Köpfe, synchron genährt von denselben Schallwellen, gehen für einen Augenblick im Gleichtakt weiter. Ob der linke Cortex das poetisch findet oder der rechte es logisch erklären will, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass beide zuhören – und dass der Takt von aussen den inneren ordnet. Entrainment und Hemisphären-Synchronisation sind keine Gegensätze, sondern zwei Perspektiven auf dieselbe Erfahrung: Wir sind nicht für Isolation gemacht, sondern für Verbindung. Im Klang wird sie körperlich erfahrbar.
Weiterführende Literatur
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Thaut, M. H., McIntosh, G. C., & Hoemberg, V. (2015).
Neurobiological foundations of neurologic music therapy: rhythmic entrainment and the human brain.
Frontiers in Psychology, 6, 1185 -
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Selective neuronal entrainment to the beat and meter embedded in a musical rhythm.
The Journal of Neuroscience, 32(49), 17572–17581.
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Large, E. W., & Snyder, J. S. (2009).
Pulse and meter as neural resonance.
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Zatorre, R. J., Chen, J. L., & Penhune, V. B. (2007).
When the brain plays music: auditory–motor interactions in music perception and production.
Nature Reviews Neuroscience, 8(7), 547–558.